Besuch im Andendorf und der ganz normale Wahnsinn!

Da Florian und ich uns am Sonntagabend doch erst ziemlich spät auf den Weg nach Quiquijana gemacht haben, haben wir leider den Bus, den wir immer nehmen, nicht mehr bekommen; ließen uns deshalb zu einer anderen Busstation bringen, die den gleichen Weg ein wenig schneller fährt - demnach aber auch das doppelte kostet (statt 5 Soles; 10 Soles; statt 1,20 €, 2,40 € für die rund 80 km bis nach Quiquijana). Dennoch kam ich eine zusätzliche dreiviertel Stunde später als gewohnt in dem schlafendem Mädchenschlafsaal an, da rund sechs Kilometer vor unserem Dorf einige große Steine eines Berges lawinenartig auf die Straße hinabgefallen sind, sodass die Durchfahrt nach Quiquijana für mehrere Stunden nur im Schritttempo vonstattengehen konnte und sich ein unendlich langer Sau von LKWs und Bussen gebildet hatte. Als ich in meinem Zimmer ankam, fiel ich sofort todmüde in mein Bett - und konnte trotzdem nicht schlafen; irgendjemand hat wohl behauptet rund 3 Stunden Schlaf sei ausreichend.

Montagsmorgens musste trotzdem auf der Chacra ordentlich gearbeitet und mit dem Triciclo Obst und Gemüse zur Albergue gebracht werden. Im Moment gibt es immer noch wahnsinnig viel zu ernten, sodass unser Triciclo manchmal fast zu klein ist, alles zu den kleinen, hungrigen Kindern zu bringen. Denn Körbe Salat; Säckeweise Blumenkohl, kleine Bohnen, Rote Beete, Brokkoli und Mangold, zwei Eimer Tomaten und mal hier eine Hand Petersilie, Radieschen oder Kräuter für Tee nehmen doch einigen Platz in Anspruch.

Nachmittags hat Pavela, die Lehrerin der Albergue, alle Kinder in Gruppen eingeteilt und so ist jetzt klar, dass ich die folgenden drei Monate mit den Kleinsten zusammen arbeiten und ihnen bei ihren Hausaufgaben unter die Arme greifen werde. An diesem Nachmittag, als sich alle Kinder in Reihen aufgestellt haben, um zu sehen, wer in welcher Klassenstufe ist und welcher Freiwilliger welche Gruppe übernimmt, habe ich mich stellenweise wirklich gewundert, wer ungefähr in einem Alter ist und andererseits Gesichter wiedergesehen, die erst seit dieser Woche wieder in Quiquijana leben - Mein Herz ist aufgegangen und ich freue mich noch auf das ein oder andere Gespräch über ihre Ferien. So verbringe ich auch einige Zeit meiner Mittagspause bei den Kindern; spiele nicht unbedingt Volleyball mit (da mein Geschick für diesen Sport nicht all zu groß ist), sitze aber gerne mit den Kindern zusammen und bewundere die Kinder und Schwester Poli, die wahre Profis sind.

 

Dienstagmorgen ging auf der Chacra die Post ab: Florian, Regina, Benjamin und ich haben im zweiten Gewächshaus neun rund 30 cm tiefe Reihen mit Spitzhacke und Schaufel gegraben, da in diesem Bereich des Gewächshauses die Nähstoffe in der Erde sehr begrenzt sind. Daher haben wir mit der guten Hilfe von Romolo die Erde einmal komplett umgegraben, auch wenn wir stellenweise große Probleme hatten, die hinausgeschaufelte Erde unterzubringen. Dies werden wir in der nächsten Zeit noch an der einen oder anderen Stelle wiederholen; damit die Erde noch einmal aufgelockert wird, zwei/ drei große Steine entfernt werden können und die Erde durch ein wenig Dünger bzw. Asche nähstoffreicher wird. Der Abend war außerdem wieder der erste, an dem ich wieder nach sehr, sehr langer Zeit Englisch unterrichtet habe. Hier gibt es seit Wiederbeginn des Unterrichts eine wichtige Änderung, da wir die viel zu große Gruppe des Englischunterrichts in zwei Gruppen a 10 Schülern aufgeteilt haben. Davon erhoffen wir uns, dass die Kinder besser aufpassen und vielleicht doch noch die ein oder andere kleine Grammatik behalten. Und das hat sich auch sofort als richtig erwiesen, da mich ein Junge, der früher nie aufgepasst hat, mit dem Merkspruch “He/ She/ It - Das »S« muss mit!” einige Stunden nach dem Unterricht ansprach - Ich fühle mich stolz! - An dieser Stelle merkt man vielleicht noch einmal, auf welchem englischen Niveau wir uns hier befinden!

 

Am Mittwoch hieß es nach langer Zeit wieder für mich Brot zu backen. Durch die Hilfe des größten Jungen in der Albergue, der ab April in Cusco studieren wird, sind die 15 Kilo Teig im Handumdrehen verarbeitet worden, sodass die restlichen Stunden des Vormittags dazu verwendet wurden, die Bleche der Bäckerei mit viel Clorox und viel heißem Wasser zu säubern. Da diese Bleche jedoch einige Jahre auf dem Buckel haben, stellte sich diese Aufgabe als größere Herausforderung heraus, als man annehmen könnte. Denn innerhalb dieses Vormittags (rund drei Stunden) haben wir zu viert nur sage und schreibe fünf Bleche mehr oder weniger sauber bekommen. Dafür sind die Brötchen an diesem Morgen umso besser geworden, sodass die Frustration über die Bleche nicht allzu lange bei mir anhielt. Den Boden und die Arbeitsflächen hat die andere Brot-back-Gruppe schon in der letzten Woche gesäubert, sodass man mittlerweile wieder den wahren Glanz der Bäckerei erkennen kann.

 

Nachmittags arbeite ich seit Neustem ja nicht mehr mit den Größten der Albergue zusammen; sondern mit den Kleinsten. Diese sind momentan stark damit beschäftigt, die erste Seite ihrer Aufgabenhefte zu verschönern, sodass die liebe Anna in den letzten Tagen viele Hunde, Schmetterlinge oder Strichmännchen malen durfte; Hefte mit Klarsichtfolie einband oder den Schülern half, die vorgemalten Zeichnungen bunt zu malen.

Andere Kinder haben auch schon kleine Hausaufgaben auf. Drei Schülerinnen der dritten Klassen mussten an diesem Mittwochnachmittag einen Art Steckbrief über sich anfertigen, indem sie Dinge wie Vorname, Nachname, Alter, Geburtstag oder Größe aufschreiben sollten. Die Hausaufgabe trug den Namen “Ich kenne meinen Körper und respektiere ihn!”, sodass es für mich persönlich sehr erschreckend war, dass keiner der drei rund zehn jährigen Mädchen wusste, wann sie geboren wurden und stellenweise (glaube ich) nur geschätzt haben, wie alt sie sind.

Am Abend fand auch wieder eine Messe statt, die sehr gut besucht war, sodass ich die ganze Messe stehen musste. Sehr süß war ein kleines Baby, das mich die ganze Messe über mit ihrem Schokokeks in der Hand und riesigen Kulleraugen anlächelte, während es auf dem Rücken seiner Mutter in einem Tuch eingewickelt hin und wieder damit kämpfte, nicht einzuschlafen.

Auch am Donnerstagvor- und Nachmittag lief einiges außerhalb des Planes ab, denn: Wir hatten großen Besuch. An diesem Tag waren rund 40 Mediziner (Optiker, Zahnärzte, Gynäkologen und allgemein Mediziner) aus Kalifornien in unserer Albergue, um am Vormittag Männer, Frauen und kleine Kinder Quiquijanas zu untersuchen und am Nachmittag in die Augen, den Mund und auch auf die Haut unserer Kinder zu schauen. Die Mediziner haben nicht nur Zahnbürsten für lau an die Kinder verteilt, sondern hatten ebenfalls 1300 Brillen im Gepäck, wovon vieler unserer Kinder stolze Besitzer geworden sind. Wir Freiwilligen trugen vor allen Dingen die ehrwürdige Aufgabe, den zum Teil nur englisch sprechenden Ärzten das Krankheitsbild der Kinder zu übersetzen, durften aber auch unsere Zähne oder Augen kontrollieren lassen. Bei den Übersetzungen kam ich an der einen oder anderen Stelle schwer ins Stocken, da mir nach neun Monaten Spanisch die englischen Vokabeln mehr denn je fehlen. So habe ich oft die Sprache “Spenglish” erfunden - die wunderbar klingende Mischung aus Englisch und Spanisch. Als sich die Mediziner in einem Rutsch gegen halb fünf auf den Weg machten, die Albergue zu verlassen, konnte ich meinen Augen kaum glauben, als fast alle Kinder mit ihren Rucksäcken in der Hand in den Arbeitsraum schritten, um freiwillig ihre Hausaufgaben zu erledigen. Normalerweise ist es ein bombastischer Aufwand, jedes Kind dazu zu bewegen, den Saal zu betreten und ruhig zu arbeiten - Heute war es (natürlich mit einigen Ausnahmen) kein Problem. Sehr wichtig für die Kinder war es, glaube ich, zu erfahren, dass sie die englische Sprache brauchen, um sich beispielsweise mit diesen schlauen, helfenden Ärzten zu unterhalten. Auch hier kam ich an der einen oder anderen Stelle ins Staunen, als einige Kids die Ärzte wissbegierig fragten, wie sie denn hießen oder wie alt sie seien. (AUF ENGLISCH!)

Nachdem ich am Freitagmorgen die zuckersüße, wie ein kleiner Wasserfall redende Nataly, die Kleinste der Albergue, zum Kindergarten gebracht hatte, stand auf dem Programm mit Franca unten im Schwesternhaus zu waschen. Da mich eine neue Floh-Plage gepackt hat - alleine mein Rücken zählt mehr als 20 Stiche - wuschen wir neben vielen Klamotten auch meinen Bettbezug und so kann ich nur hoffen, dass die hässlichen Biester das Schleudertrauma in der Waschmaschine nicht überlebt haben; die restlichen juckenden Monster in meiner Matratze durch das Anti-Floh-Pulver gestorben sind.

Nachmittag waren erneut die Ärzte anwesend, die auf unserem Hof für Stimmung sorgten, indem sie gegen unsere Jungs ein Fußballtunier veranstalteten. Obwohl Peru seit 36 Jahren an keiner Weltmeisterschaft mehr teilgenommen hat, zogen unsere Jungs die Amerikaner ordentlich ab. Ein Amerikaner schaffte es jedoch eine Fensterscheibe mit dem Fußball zu zerschießen; hat aber ehrenvoll die 10 Soles, die jedes Kind in dem Fall bezahlen muss, auch den Schwestern für eine neue Scheibe gegeben. Mir hat die gute Stimmung auf dem Hof wahnsinnig gut gefallen. Viele Jugendliche voller Energie und Tatendrang auf einem Hof - Einfach eine tolle Sache. Außerdem haben sie viele Spielsachen an die Kinder verteilt, sodass diese auch ein großes Strahlen im Gesicht hatten.

 

Liebe Leute,

diese Woche hat mir wieder gezeigt, warum ich hier bin und wie sehr unsere Unterstützung vor Ort benötigt wird. Kann mir nicht vorstellen und mag mir noch gar nicht ausmalen, in 100 Tagen im guten, alten Deutschland zu sein – ohne die zuckersüßen Rabauken, die mich zwar hin und wieder um meinen Verstand bringen, aber einfach durch und durch liebenswürdig sind. Bin fast ein wenig eifersüchtig auf die neuen Freiwilligen, die mit den Kindern zusammen arbeiten werden; mit den Schwestern lachen und das Leben in den Anden genießen. Andererseits freue ich mich auch bald wieder bei euch zu sein; auch auf der Straße meine Muttersprache zu sprechen und dass für das Erste die Sprachvermischung- und verwirrung ein Ende hat.

Ich wünsche euch einen sonnigen, liebenswürdigen Tag.

 

Eure Anna.

Auch wenn die Qualität nicht die Beste ist. ♥
Auch wenn die Qualität nicht die Beste ist. ♥

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