Alles und Nichts aus Quiquijana

Liebe Leute,

 

 

wisst ihr eigentlich, dass ich heute in drei Wochen schon wieder in meinem eigenen Bett schlafen werde? Dass ich in ein bisschen mehr als drei Wochen wieder deutsche Sommerluft genießen werde, euch alle wiedersehen kann und wieder im guten, alten Deutschland sein werde?

Ich freue mich mittlerweile auch wirklich auf diese Zeit. Besonders jetzt, da ich einen Plan habe, wie mein Leben nach meinem Leben in Peru weitergehen soll. Aber da ich noch hier bin und ich die letzten drei Wochen auch noch in vollen Zügen genießen möchte und werde, schreibe ich euch heute noch einmal, wie unser typischer Alltag zurzeit aussieht.

 

Montag, 2. Juni 2014

Am Montag war ich mit Florian und Anna-Maria alleine auf der Chacra, da unsere drei Musiker mit ihren Instrumenten beim Pfarrer zu Hause Lieder aufgenommen haben. Florian, Anna-Maria und ich waren zur gleichen Zeit damit beschäftigt, alle Mangoldfelder zu säubern. Dabei haben wir mindestens vier Schubkarren Mangold zu den Kühen gebracht – darunter viele Spinnen, Frösche und Regenwürmer.

Nachmittags lief alles drunter und drüber, mehr als ¾ aller Kinder waren auch nachmittags noch in der Schule, da dort ein Sportfestival stattfand. Einerseits gar nicht so schlecht, nur mit vier Kindern die Hausaufgaben machen zu müssen – aber diese vier hatten natürlich sehr viel Lust Hausaufgaben zu machen, während ihre gleichaltrigen Klassenkameraden Fußball spielten. Im Endeffekt war der Nachmittag anstrengender als ein normaler, da einfach niemand auf mich hören wollte. Nach der Hausaufgabenbetreuung und Abendbrot gingen wir mit den Kindern zur Messe, bei der auch nach und nach die sportlichen Kinder im Jogginganzug eintrudelten.

Abends im Englischunterricht sah es nicht viel rosiger aus. Nach häufigem Androhen haben wir unseren Test mit den Kindern geschrieben – und selbstverständlich wussten sie nichts. Gerade einmal das Wort „family“ wussten sie, wobei mehr als die Hälfte das Wort zusätzlich noch falsch schrieb. Die restlichen Vokabellücken blieben frei – Deprimierend wenn man bedenkt, dass wir seit den letzten drei Wochen ausschließlich diese Vokabeln lernen. Exakt den gleichen Text werden wir nächste Woche mit ihnen noch einmal schreiben. Hoffentlich merken sie so, dass sie Vokabeln sehr viel weiter bringen, als sie annehmen.

 

Dienstag, 3. Juni 2014

Dienstag musste ich erst einmal im Bett liegen bleiben. Nicht nur wegen meinen Husten, sondern auch dass mein rechtes Bein merkwürdig angeschwollen war. Als ich mit Pavela redete, war sie sich sicher einen Spinnenbiss diagnostizieren zu können, was mich zuerst sehr beunruhigte. Also entschloss ich mich am Vormittag im Bett zu bleiben, mein Bein mit Salbe einzureiben und zu warten, dass es ein wenig abschwillt. – Was auch super geklappt hat, nachmittags sah es schon wieder humaner aus! So konnte ich mich nachmittags auf den Weg zur Hausaufgabenbetreuung machen und verbrachte die Zeit damit, das menschliche Herz, das Nervensystem und ein Gemälde über Mülltrennung zu malen. Die Zeit verstrich, der Englischunterricht rückte näher und der Wahnsinn begann. Mit den kleineren Kindern wollten wir auch heute einen Vokabeltest schreiben und es scheiterte sehr. Von den 16 Vokabeln, die wir in den letzten Wochen ununterbrochen geübt haben, wussten sie im Durchschnitt 1 ½ - Mittlerweile hasse ich es wirklich, Englischunterricht zu geben, da man so viel vorbereiten kann, wie man möchte, aber die Kinder gar kein Interesse zeigen. Auch in der anderen Gruppen von Franca und Anna-Maria ist die Situation nicht rosiger, sodass wir uns im Anschluss an die Stunde mit den Schwestern zusammengesetzt haben, um erneut über die Situation zu reden. Mit Erfolg.

 

Mittwoch, 4. Juni 2014

Auch am Mittwoch war ich mit Florian und Anna-Maria alleine auf der Chacra, da das Aufnehmen der Lieder einige Zeit beansprucht, sodass die drei Musiker unter uns am frühen Vormittag ein Stück aufnahmen und am späten Vormittag Brot buken. Auf der Chacra passierte soweit nichts Besonderes, wir sind nach wie vor damit beschäftigt, die Maiskörner von ihrem Stängel zu trennen, Löcher zu graben und zu schließen und zurzeit nur wenig zu ernten. Viele Felder sind momentan leer und können neu bepflanzt werden, da mittlerweile auch wirklich alle Tomatenpflanzen an die Kühe verfüttert worden. Schon am Nachmittag habe ich bemerkt, dass die Schwestern mit ihrer Rede über Englisch bei den Kindern Spuren hinterlassen haben, denn meine Kids fragten mich während der Hausaufgabenbetreuung viele Dinge, was es auf Englisch bedeutet. So lernen im Moment meine kleinen Mädchen die Farben auf Quechua und jede Farbe musste auch auf Englisch übersetzt werden – und sie ließen partout nicht locker. Ein anderes Kind begann aus heiterem Himmel auf Englisch zu zählen. Das sind Momente, in denen ich mit offenem Mund dasitze und nicht glauben kann, was gerade passiert.

Abends im Englischunterricht schrieben wir mit den älteren Kindern den Text von Montag ein zweites Mal. Einer von den rund 10 Kindern wusste wirklich jede Vokabel, auch wenn viele falsch geschrieben wurden, aber darauf liegt wirklich nicht mehr das Augenmerk. Auch wenn viele Kinder trotzdem nur rund fünf Wörter wussten, war ich so stolz, einen Erfolg zu sehen.

 

Donnerstag, 5. Juni 2014

Am Donnerstag war der einzige Tag der Woche an dem wir alle zusammen auf der Chacra waren. So mussten wir unter anderem Wasser aus dem Fluss holen, um die Tanks zu füllen, ein bisschen Salat ernten für die Schwestern und viel Mais abbeeren. Viel zu tun gab es nicht, sodass wir auch ein bisschen unserer Zeit die Sonne genossen. (Wer behauptet das Südamerika ja immer so warm sei: Zurzeit laufe ich mit dicken Wollsocken und dicker Jacke durch die Straßen!)

Nachmittags begannen wir schon einiges für den Abend vorzubereiten. Da am Wochenende die meisten Kinder in ihren Dörfern bei ihren Familien sind, feiern wir Feste, die aufs Wochenende fallen, meist donnerstagsabends. Am Lagerfeuer versammelten wir uns alle, um gemeinsam zu singen, Texte über den heiligen Geist zu hören, die Kinder mussten einiges auswendig Gelerntes aufsagen und so stimmten wir uns auch mit Tee und Brötchen auf das Pfingstfest ein. Ich kann im Moment gar nicht verstehen, dass schon wieder 50 Tage seit Ostern vergangen sind.

Es war ein schöner Abend. Auch die Kinder merken langsam, dass uns zusammen nicht mehr viel Zeit bleibt. Einige fragen, ob ich ihnen ein persönliches Foto von mir schenken kann, anderen sagen mir, wie sehr sie mich vermissen werden und die süße achtjährige Ruby lächelte mich an und sagte: „I love you, Anna!“ – Mein Herz blieb glaube ich wirklich für eine Sekunde stehen.

 

Freitag, 6. Juni 2014

Am Freitag wurde mir durch die Planungen unseres Abschieds noch einmal bewusst, wie wenig Zeit uns noch bleibt und was wir noch alles für unsere große Abschiedsfeier planen müssen. Auch die Wochenenden werden weniger. Auch wenn ich mich wirklich freue, bald wieder da zu sein, kann ich mir noch nicht vorstellen, dass ich bald wirklich im Flugzeug nach Deutschland sitzen werde. Für mich fühlt es sich oft noch so an, als würde ich jetzt hier für immer leben.

An diesem Morgen waren Regina und ich dran, die Wäsche zu waschen – Zum letzten Mal. Es ist schon merkwürdig zu wissen, dass man Dinge, die man ein Jahr lang täglich oder wöchentlich gemacht hat, zurzeit zum letzten Mal tut. – So werde ich auch noch nur einmal backen, zwei Mal mit dem Bus nach Quiquijana fahren und vielleicht noch fünf Mal über meinen geliebten Plaza de Armas laufen.

 

Das wars für heute von mir,
bis in drei Wochen,

eure Anna

 

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